BAG, Revisionsurteil vom 17. Februar 1998, 9 AZR 84/97

BAG, Revisionsurteil vom 17. Februar 1998, 9 AZR 84/97

Nichtraucherschutz

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

17. 02. 1998


Aktenzeichen

9 AZR 84/97


Leitsatz des Gerichts

  1. Ein Klageantrag, der darauf gerichtet ist, den Arbeitgeber zu verurteilen, dem Arbeitnehmer einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen, ist hinreichend bestimmt i.S. von § 253 II Nr. 2 ZPO.

  2. Arbeitnehmer haben nach § 618 I BGB einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz, wenn das für sie aus gesundheitlichen Gründen geboten ist.

Tatbestand

Zum Sachverhalt:

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Bekl., der Kl. einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Die 1942 geborene Kl. ist seit 1966 bei der Bekl. als Sachbearbeiterin mit einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt rund 4700 DM beschäftigt. Wegen chronischer Atemwegserkrankungen wird sie seit Jahren ärztlich behandelt. Nach Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung aus dem Jahre 1992, daß sie dringend auf einen Arbeitsplatz ohne Rauchbelastung der Atemluft angewiesen sei, hat ihr die Bekl. im Mai 1993 einen Arbeitsplatz in einem Großraumbüro zugewiesen. Der Raum kann ausschließlich über Fenster be- und entlüftet werden. Die Arbeitsplätze in diesem Büro sind teilweise durch 1,70 m/1,80 m hohe Stellwände voneinander getrennt. Der Arbeitsplatz der Kl. liegt zwei bis drei Meter vom nächsten Fenster entfernt. Um ihren Arbeitsplatz sind im Abstand von etwa 2,5 bis 5 Metern mindestens 12 Arbeitnehmer beschäftigt, die regelmäßig während der Arbeitszeit nach Angaben der Bekl. etwa 10 bis 20 Zigaretten pro Tag rauchen. Nach Angaben der Kl. sind es ca. 15-20 „Kettenraucher“. Das staatliche Amt für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik stellte am 27. 9. 1994 unter anderem fest, daß infolge „der Raumgrößen und der Raumgeometrie der Großraumbüros und Bürolandschaften eine gesundheitlich zuträgliche Be- und Entlüftung über die vorhandenen Fenster nicht möglich“ sei. Die Bekl. hat für die Geschäftsführer und Abteilungsleiter, den Betriebsrat und die Betriebsärztin Einzelzimmer eingerichtet. Am 23. 11. 1994 wies die Kl. schriftlich auf Atembeschwerden und auf den dringenden ärztlichen Rat zu einem rauchfreien Arbeitsplatz hin. Sie legte ferner eine fachärztliche Bescheinigung vom 13. 1. 1995 vor. Danach wird ihre Erkrankung „durch trockene Luft, aber entscheidend wichtiger, durch Rauch“ erheblich verstärkt. Zur Ausheilung und Vermeidung einer Dauerschädigung der Schleimhäute, die bis zur Arbeitsunfähigkeit führen könne, sei an der Arbeitsstelle eine rauchfreie und möglichst ausreichend feuchte Luft dringend erforderlich.

Das ArbG und LAG haben der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Bekl. mit der vom LAG zugelassenen Revision. Diese hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Das LAG hat der Klage zu Recht stattgegeben.

I. Die Klage ist zulässig. Der auf die Zuweisung eines tabakrauchfreien Arbeitsplatzes gerichtete Klageantrag ist unter Berücksichtigung des Vorbringens der Kl. hinreichend bestimmt i.S. von § 253 II Nr. 2 ZPO.

1. Mit dem Ausdruck „Arbeitsplatz“ ist im Klageantrag die auf Dauer angelegte räumliche Unterbringung der Kl. im Gebäude gemeint. Damit ist der Bereich bezeichnet, den die Bekl. der Kl. als Arbeitsort zur Verfügung stellt und in dem sie sich regelmäßig aufhalten muß, um die von ihr geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Das ist der Standort ihres Schreibtisches und dessen unmittelbare Umgebung. Die Kl. erstrebt nicht den Erlaß eines allgemeinen Rauchverbots im Betrieb. Der Klageantrag umfaßt deshalb nicht Flure, Einzelzimmer oder sonstige Bereiche der Bürolandschaft, die sie wie jeder andere Mitarbeiter nur gelegentlich betreten muß und in denen geraucht wird.

2. Bedenken gegen die Bestimmtheit des Klageantrags ergeben sich auch nicht durch den im Antrag verwandten Begriff „tabakrauchfrei“. Denn die Kl. hat in ihrer Klagebegründung hinreichend deutlich gemacht, daß es ihr nicht um eine klinisch reine, „absolut“ schadstoffreine Raumluft geht. Vielmehr richtet sich der Antrag, wie das LAG formuliert hat, auf eine Atemluft, die „nach allgemeinem Verständnis“ tabakrauchfrei ist. Das ist der Fall, wenn am Arbeitsplatz der Kl. für die Sinnesorgane kein Tabakrauch wahrnehmbar ist, also nicht zu sehen, nicht zu schmecken und nicht zu riechen. Maßstab hierfür ist das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen (vgl. BGHZ 120, 239 = NJW 1993, 925). Entgegen der Revision wird mit dieser Auslegung des Klageantrags der Rechtsstreit nicht unzulässig in das Vollstreckungsverfahren verlagert. Zwar muß die Bekl. den Urteilsspruch durch eine von ihr vorzunehmende Handlung selbst noch konkretisieren. Das steht dem prozessualen Bestimmtheitsgebot aber nicht entgegen. Ob die Bekl. die zutreffenden technischen oder organisatorischen Maßnahmen anordnen wird, ist im Zwangsvollstreckungsverfahren von dem Prozeßgericht als Vollstreckungsgericht (§ 888 I ZPO) zu entscheiden (zu den dann zu beachtenden Voraussetzungen vgl. BGHZ 120, 239 [248] = NJW 1993, 925 zum sog. Immissionsschutz).

II. Die Klage ist begründet. Die Kl. hat einen Anspruch auf einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz nach § 618 I BGB.

1. Nach dieser Bestimmung hat der Arbeitgeber Räume, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten und Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, daß der Arbeitnehmer gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als es die Dienstleistung gestattet. Gefährden die Arbeitsbedingungen die Gesundheit des Arbeitnehmers, ist der Arbeitgeber regelmäßig verpflichtet, für Abhilfe zu sorgen. Die Verpflichtung des Arbeitgebers betrifft auch die Beschaffenheit der Atemluft in Arbeitsräumen, wenn dort geraucht wird. Es ist unerheblich, daß diese Belastung nicht unmittelbar vom Arbeitgeber ausgeht, sondern – wie hier – durch das Zigarettenrauchen von anderen Mitarbeitern verursacht wird. Der Arbeitgeber ordnet und leitet die betrieblichen Verhältnisse. Damit trägt er die Verantwortung, die Arbeit so zu organisieren, daß Tabakrauch die Atemluft am Arbeitsplatz nicht durchsetzt und Arbeitnehmer durch sog. Passivrauchen in ihrer Gesundheit nicht gefährdet werden. Der Arbeitgeber ist damit verpflichtet, darauf hinzuwirken, daß die Belastung der Kl. durch Tabakrauch soweit vermindert wird, daß Gesundheitsgefährdungen ausgeschlossen sind.

Dem Arbeitgeber ist es überlassen, welche Schutzmaßnahmen er zur Abwehr der Gesundheitsgefahr ergreift. Er genügt seiner Pflicht regelmäßig, wenn die Belastung der Atemluft durch Tabakrauch nicht über das sonst übliche Maß hinausgeht. Ob dies ausreichend ist, richtet sich nicht allein nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften, wie z.B. § 5 ArbStättV, sondern auch nach den jeweiligen Verhältnissen des Einzelfalls. Die öffentlichrechtlichen Vorschriften enthalten nur die Mindestanforderungen, denen der vom Arbeitgeber eingerichtete Arbeitsplatz entsprechen muß. Umstände in der Person eines Arbeitnehmers, die ihn gegen das Stoffgemisch Tabakrauch besonders anfällig machen, werden durch sie nicht ohne weiteres abgedeckt, deshalb begrenzen sie nicht die vom Arbeitgeber nach § 618 I BGB vertraglich geschuldete Fürsorge (vgl. § 1 III 1 ArbSchG). Der Inhalt der vertraglichen Schutzpflicht des Arbeitgebers wird durch die Umstände des einzelnen Arbeitsverhältnisses konkretisiert. Arbeitnehmer, die aufgrund ihrer gesundheitlichen Disposition gegen bestimmte Schadstoffe besonders anfällig sind, können daher im Einzelfall besondere Schutzmaßnahmen verlangen (vgl. BAG, NZA 1997, 86 = AP Nr. 23 zu § 618 BGB). Besteht die Gefährdung in der Belastung der Atemluft durch Tabakrauch, ist dann der Arbeitgeber im Rahmen des ihm Zumutbaren verpflichtet, die Arbeitsplätze durch geeignete Maßnahmen so zu gestalten, daß Gefährdungen der Gesundheit nicht entstehen (vgl. BVerwG, NJW 1985, 876; BVerwG, NVwZ 1990, 165).

2. Die Kl. ist durch den Tabakrauch an ihrem Arbeitsplatz in ihrer Gesundheit gefährdet.

a) Die Atemluft am Arbeitsplatz der Kl. ist wahrnehmbar mit Tabakrauch durchsetzt; ihr Arbeitsplatz ist nicht tabakrauchfrei. Das beruht auf dem Standort ihres Schreibtisches im Großraumbüro. Werden nur die von der Bekl. genannten Daten – die Kl. nennt höhere – zugrunde gelegt, so errechnet sich ein Konsum von 120 bis 230 Zigaretten, die von Mitarbeitern der Bekl. täglich während der Arbeitszeit und in unmittelbarer Nähe der Kl. geraucht werden. Da der hierbei entstehende Rauch nicht unmittelbar an seiner jeweiligen Entstehungsquelle entfernt wird, mischt er sich mit der Raumluft. Er erreicht auch die Kl., da ihr Schreibtisch ohne raumhohe Abtrennung mitten zwischen diesen Arbeitsplätzen steht, an denen geraucht wird. Sie muß die mit Tabakrauch versetzte Luft einatmen.

b) Die Kl. ist aufgrund ihrer persönlichen Disposition gegen Tabakrauch besonders anfällig. Sie leidet, wie die Bekl. nicht bestreitet, an einer chronischen Atemwegserkrankung.

c) Für die Kl. ist ein tabakrauchfreier Arbeitsplatz unerläßlich.

Das LAG hat aus den Verhältnissen am Arbeitsplatz der Kl. und ihrer gesundheitlichen Vorschädigung gefolgert, die Kl. benötige zur Vermeidung einer Schädigung ihrer Gesundheit einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz. Zur Begründung hat es das tatsächliche Vorbringen des Kl. und die „eindeutigen“ ärztlichen Bescheinigungen, nach denen die Kl. aus gesundheitlichen Gründen einen Arbeitsplatz ohne Tabakrauchbelastung benötige, angeführt. In ihrem Beweiswert stünden diese eingereichten ärztlichen Atteste einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gleich. Die Bekl. habe keine Tatsachen vorgetragen, die deren inhaltliche Richtigkeit erschütterten.

Die hiergegen von der Revision erhobenen Angriffe sind unbegründet.

aa) Soweit die Bekl. geltend macht, das LAG habe nicht zwischen einer bloßen Belästigung durch Tabakrauch und einer Gesundheitsgefährdung unterschieden, trifft dies nach den Ausführungen im angefochtenen Urteil nicht zu.

bb) Die Bekl. rügt, das LAG habe den Inhalt der ärztlichen Bescheinigungen fehlerhaft beurteilt. Aus der Bescheinigung von 1992 ergebe sich nur der ärztliche Rat, die Kl. „sollte“ einen Arbeitsplatz ohne Rauchbelastung der Atemluft einnehmen; eine konkrete Beeinträchtigung oder gar Gesundheitsgefährdung werde nicht angeführt. Auch aus der Bescheinigung von 1995 ergebe sich nicht, wie und in welchem Umfang eine Rauchbelastung von der Kl. fernzuhalten sei. Diese Rüge ist unbegründet. Bei den ärztlichen Bescheinigungen handelt es sich um sogenannte individuelle Erklärungen, deren Auslegung durch das Tatsachengericht in der Revisionsinstanz nur eingeschränkt darauf zu überprüfen ist, ob gesetzliche Auslegungsregeln verletzt worden sind, ein Verstoß gegen Denk- oder allgemeine Erfahrungssätze vorliegt oder Umstände außer Acht gelassen worden sind, die für die Auslegung Bedeutung haben (st. Rspr. vgl. BAG, NZA 1993, 837 = NJW 1993, 2767 = AP Nr. 2 zu § 117 BGB). Die Revision zeigt keinen derartigen Auslegungsfehler des LAG auf.

cc) Die Revision beanstandet, das LAG habe keinen Hinweis auf seine Rechtsauffassung zum Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung erteilt. Sie trägt vor, die Bekl. hätte dann näher zu den Auswirkungen der Belastung des Tabakrauches auf die Gesundheit der Kl. vorgetragen. Die von der Bekl. erhobene Aufklärungsrüge greift nicht durch. Die vom LAG vertretene Auffassung entspricht der Meinung der Vorinstanz. Bereits das ArbG hatte aus den Attesten von der Vorerkrankung der Kl. auf einen Anspruch auf unbelastete Atemluft geschlossen. Deshalb hätte sich die Bekl. schon in der Berufung mit dieser Frage auseinandersetzen müssen. Eines erneuten Hinweises durch das LAG bedurfte es nicht.

dd) Das LAG durfte die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen auch seiner Überzeugungsbildung zugrunde legen. Sie enthalten Erklärungen von sachkundigen Personen zum Gesundheitszustand der Kl. und zur Erforderlichkeit eines tabakrauchfreien Arbeitsplatzes. Die Kl. hat sie vorgelegt, um damit die Richtigkeit ihrer tatsächlichen Angaben zu stützen. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Beweiswert gesetzlich vorgeschriebener Bescheinigungen (vgl. BAGE 28, 144 = NJW 1977, 350; BAGE 48, 115 = NZA 1985, 737 = NJW 1986, 801; BAG, NZA 1998, 194 = NJW 1998, 3439 = AP Nr. 11 zu § 3 MuSchG1968) sind nicht anwendbar. Gleichwohl sind die Bescheinigungen nicht unbeachtlich für die richterliche Überzeugungsbildung. Ob und unter welchen Voraussetzungen sie zu einer Beweiserleichterung führen, braucht hier nicht entschieden zu werden.

ee) Die Revision rügt weiterhin ohne Erfolg eine mangelnde Aufklärung des Sachverhalts. Das LAG war nicht verpflichtet, die Begutachtung der Gesundheitsgefährdung durch einen Sachverständigen anzuordnen. Es hat nicht das ihm nach § 144 ZPO eingeräumte Ermessen verletzt. Grundalge des Beweisangebots der Bekl. zur fehlenden Notwendigkeit eines Arbeitsplatzwechsels der Kl. ist ihre Behauptung, die natürliche Luftzirkulation verursache eine hinreichende „Verdünnung“ des Tabakrauchs in der sonstigen Innenraumluft. Dazu hätte es eines substantiierten Tatsachenvortrages bedurft. Daran fehlt es. Bei einem über den Arbeitstag verteilten Tabakkonsum wird die Luft ständig erneut mit Tabakrauch angereichert mit der notwen-digen Folge, daß die Qualität der Atemluft jeweils neu belastet wird. Dafür spricht, daß nach den Feststellungen der Arbeitsschutzbehörde die Luftzirkulation unzureichend ist.

Vorinstanzen

LAG Hessen, 11 Sa 518/96, 21.10.1996

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BGB § 618 I; ZPO § 253 II Nr. 2