LG Saarbrücken, Berufungsurteil vom 4. Mai 2012, 13 S 161/11

LG Saarbrücken, Berufungsurteil vom 4. Mai 2012, 13 S 161/11

Kreuzungsbereich unklar beschildert: Bauunternehmer haftet bei Verkehrsunfall

Gericht

LG Saarbrücken


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

04. 05. 2012


Aktenzeichen

13 S 161/11


Tenor


Tenor

  1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Ottweiler vom 16.08.2011 – 2 C 85/11 (81) – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

    1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.166,82 € sowie außergerichtlichen Anwaltskosten von 316,18 € nebst Zinsen in Höhe von jeweils 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.04.2011 zu zahlen.

    2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den Rückstufungsschaden zu ersetzen, der ihm aus der Inanspruchnahme seiner Versicherung Nr. … bei der … Versicherung aus Anlass des Verkehrsunfalls vom … in … Kreuzung der L 266 zur L 299, ab dem 01.01.2011 entstanden ist und zukünftig entstehen wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

    3. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 20 % und die Beklagte zu 80 %.

  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

  4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe


Gründe

I.

Der Kläger begehrt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am … im Kreuzungsbereich der L 266 und L 299 in … ereignet hat.

Die Beklagte führte zwischen dem 15.03.2010 und 30.09.2010 am Unfallort Straßenbauarbeiten durch. Mit der Verkehrssicherung der Baustelle hatte sie die … GmbH beauftragt. Diese nahm am Morgen des Unfalltages eine Änderung der vorhandenen Beschilderung vor. Aus der Fahrtrichtung des Klägers wurde an das vorhandene Verkehrszeichen 306 (Vorfahrtstraße) das Zusatzzeichen 1002 zu Verkehrszeichen 306 (abknickende Vorfahrt nach rechts) angebracht. Das vorhandene Verkehrszeichen 274 mit der angegebenen Höchstgeschwindigkeit 70 km/h wurde versehentlich nicht abgedeckt. Der Kläger kollidierte bei der Geradeausfahrt über die Kreuzung mit dem von rechts kommenden Pkw der Beklagten, der von der Zeugin … geführt wurde. Aus Fahrtrichtung der Zeugin … war neben dem vorhandenen Verkehrszeichen 205 (Vorfahrt gewähren) das Verkehrszeichen 306 mit Zusatzzeichen 1002 (abknickende Vorfahrt nach links) aufgestellt.

Der Kläger hat am 15.10.2010 ein Ersatzfahrzeug erworben. Er hat ursprünglich Schadensersatz in Höhe seiner Selbstbeteiligung von 500,– € wegen Inanspruchnahme seiner Vollkaskoversicherung, Nutzungsausfallentschädigung von 1.239,– € für 21 Tage je 59,– €, einen Rückstufungsschaden von 528,12 € für das Jahr 2011, eine Unkostenpauschale von 26,– € sowie Rechtsanwaltskosten von 402,82 € für die Regulierung gegenüber der Kaskoversicherung, mithin insgesamt 2.695,94 € geltend gemacht. Hilfsweise hat er den Ausgleich der vorgenannten Schadenspositionen in Höhe von 2.167,82 € ohne den bezifferten Rückstufungsschaden begehrt. Daneben hat er die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für seinen zukünftigen Rückstufungsschaden sowie die Erstattung außergerichtlicher Anwaltskosten für die Geltendmachung seines Schadens gegenüber der Beklagten verlangt.

Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte hafte unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht für seinen Schaden. Gerade im Hinblick auf das Verkehrsschild mit der angegebenen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h habe er darauf vertraut, dass er Vorfahrt auch beim Geradeausfahren habe. Die Beklagte habe im Übrigen ihre Pflicht zur Überwachung nach § 45 Abs. 6 StVO verletzt. Es sei nämlich zu einer nicht genehmigten Abänderung der Beschilderung gekommen.

Die Beklagte hat eingewandt, allein die … GmbH, die auf die Sicherung solcher Baustellen spezialisiert sei, habe das Aufstellen der Schilder zu verantworten. Die Pflichten aus § 45 StVO habe sie mit Einreichung des Beschilderungsplans vor Beginn der Bauarbeiten erfüllt. Schließlich sei eine Kontrolle der Beschilderungssituation vor dem Unfall nicht möglich gewesen, da sich der Unfall früh morgens ereignet habe.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Haftung der Beklagten sei zum Unfallzeitpunkt auf eine Kontroll- und Überwachungspflicht beschränkt gewesen, für deren Verletzung der Kläger keine Anhaltspunkte dargelegt habe. Angesichts der Vorlage der Genehmigung der Straßenverkehrsbehörde habe die Beklagte zunächst darauf vertrauen dürfen, dass die genehmigte Beschilderung von der … GmbH verantwortlich durchgeführt werde. Zwar sei der Beklagten zuzumuten gewesen, die Umsetzung des genehmigten Konzeptes turnusmäßig auf seine Richtigkeit hin zu überprüfen. Es sei aber nicht ersichtlich, dass der Beklagten am Unfallmorgen das Fehlen der Abdeckung der alten Schilder erkennbar gewesen wäre.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine Klage im Umfang seines Hilfsantrages weiter. Er vertieft hierzu seinen erstinstanzlichen Vortrag.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Der Kläger habe schon nicht näher dargelegt, wie sich der Unfall ereignet habe. Im Übrigen liege ein Verstoß gegen § 45 StVO nicht vor. Der Verkehrszeichenplan, wie er sich aus der Anlage zum Schriftsatz vom 09.01.2012 ergebe, habe ebenso wie die anderen Pläne allen Beteiligten der Straßenbaumaßnahme lange vor Erlass der straßenverkehrsrechtlichen Anordnung vom 10.03.2010 zur Verfügung gestanden. Es wäre deshalb unnötige Förmelei gewesen, die gesamten Pläne noch einmal dem Bescheid vom 10.03.2010 beizufügen. Der Bescheid vom 10.03.2010 habe sich auf die Zeit vom 15.03.2010 bis zur Beendigung der Bauarbeiten bezogen. Es habe auch keine Pflicht der Beklagten zur Vorlage eines Verkehrszeichenplans bestanden, da Auftraggeber der Landesbetrieb für Straßenbau als Straßenbaubehörde gewesen sei. Selbst wenn die Beklagte ohne behördliche Genehmigung die Beschilderung veranlasst habe, treffe die Beklagte keine Haftung, da § 45 Abs. 6 Satz 1 StVO kein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB darstelle und sich ein Verstoß nicht in gefahrerhöhender Weise ausgewirkt habe.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung einer Auskunft der Landrätin des Landkreises Neunkirchen und durch Vernehmung des zuständigen Sachbearbeiters der Straßenverkehrsbehörde. Insoweit wird Bezug genommen auf das Schreiben der Landrätin des Landkreises Neunkirchen – Straßenverkehrsbehörde – vom 26.01.2012 (Bl. 136) und den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 27.04.2012.


II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet. Das angegriffene Urteil des Amtsgerichts beruht auf einer Rechtsverletzung und die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts steht dem Kläger Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 45 Abs. 6 Satz 1 StVO zu.

1.
Nach § 45 Abs. 6 Satz 1 StVO müssen Unternehmer – Bauunternehmer unter Vorlage eines Verkehrszeichenplans – vor dem Beginn der Arbeiten, die sich auf den Straßenverkehr auswirken, von der zuständigen Behörde Anordnungen nach § 45 Abs. 1 bis 3 StVO darüber einholen, ob und wie der Verkehr zu beschränken, zu leiten und zu regeln ist; diese Anordnungen haben die Unternehmer nach § 45 Abs. 6 Satz 2 StVO zu befolgen. Hiergegen hat die Beklagte verstoßen.

a)
Die Beklagte war vorliegend zur Einholung einer verkehrsrechtlichen Anordnung gemäß § 45 Abs. 6 Satz 1 StVO verpflichtet, weil sie als Bauunternehmerin mit der Durchführung von Bauarbeiten beauftragt war, die sich auf den Straßenverkehr auswirkten. Bauunternehmer i. S. d. § 45 StVO sind die für den Bau und die Bauausführung Verantwortlichen, nicht dagegen deren Auftraggeber wie hier der Landesbetrieb für Straßenbau (LfS) (vgl. OLG Zweibrücken, VRS 32, 62 zu § 3 Abs. 3 a StVO a. F.; OLG Düsseldorf, VRS 87, 53; KG, Beschluss vom 06.10.2000 – 2 Ss 220/00, juris; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 45 StVO Rn. 47; vgl. auch OLG Hamm, ZfS 1998, 455; Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl., Kap. 42 Rn. 65).

b)
Entgegen der Behauptung der Beklagten lag eine verkehrsrechtliche Anordnung gemäß § 45 Abs. 6 Satz 1 StVO zum Unfallzeitpunkt nicht vor. Nach den in jeder Hinsicht überzeugenden Ausführungen des zuständigen Sachbearbeiters der Straßenverkehrsbehörde, des Zeugen … die auch von der Beklagten zuletzt nicht mehr ernsthaft in Abrede gestellt worden sind, war die Beklagte entsprechend einer getroffenen Vereinbarung verpflichtet, für jede der 4 Bauphasen eine gesonderte verkehrsrechtliche Anordnung zu beantragen. Dem ist die Beklagte auch für die Bauphasen 1, 2 und 4 nachgekommen. Für die hier maßgebliche Bauphase 3 hat sie indes die vorherige Beantragung einer verkehrsrechtlichen Anordnung unterlassen, so dass die Änderung der Beschilderung am Unfalltag ohne Rechtsgrundlage erfolgte.

2.
Verstößt der Bauunternehmer gegen die Verpflichtung zur Einholung einer straßenverkehrsrechtlichen Anordnung gemäß § 45 Abs. 6 Satz 1 StVO, kann ihn die Haftung nach § 823 BGB treffen (vgl. BGH, Urteil vom 05.03.1974 – VI ZR 186/72, VersR 1974, 780 zu § 3 Abs. 3 a StVO a. F.; OLG Karlsruhe, VersR 1976, 668; OLG Oldenburg, VersR 1993, 333 – Revision wurde vom Bundesgerichtshof nicht angenommen, Beschluss vom 26.05.1992 – VI ZR 190/91; Hentschel aaO Rn. 45, 48). Entgegen der Auffassung der Beklagten, die sich auf eine erstinstanzliche Entscheidung des LG Traunstein stützt (vgl. LG Traunstein, NJW 2000, 2360; zustimmend Palandt/Sprau, BGB, 71. Aufl., § 823 Rn. 70), stellt § 45 Abs. 6 Satz 1 StVO nämlich ein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten des fließenden Verkehrs dar.

a)
Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Rechtsnorm, die nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mit gewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben (vgl. BGH, Urteil vom 18.11.2003 – VI ZR 385/02, VersR 2004, 356 m. w. N.). Das ist bei der Regelung des § 45 Abs. 6 Satz 1 StVO der Fall.

b)
Die Baustellenregelung des § 45 Abs. 6 StVO konkretisiert die allgemeine Verkehrssicherungspflicht an Straßenbaustellen, die jeden trifft, der auf öffentlicher Straße Arbeiten ausführt oder ausführen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 08.02.1977 – VI ZR 217/74, VersR 1977, 543 zu § 3 Abs. 3 a StVO a. F.; Hentschel aaO Rn. 26, 45; vgl. auch OLG Stuttgart, Justiz 1977, 434; OLG Hamm, ZfS 1998, 455; Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl., Kap. 42 Rn. 65). Die Pflicht des Unternehmers zur Einholung einer verkehrsrechtlichen Anordnung gemäß § 45 Abs. 6 Satz 1 StVO ist wesentlicher Bestandteil dieser Verkehrssicherungspflicht. Das kommt bereits in der Begründung des Verordnungsgebers zum Ausdruck. Dort heißt es:

“Die Beschilderung von Baustellen liegt weithin im argen, wie die tägliche Erfahrung lehrt. Die Bauunternehmer sind offenbar vielfach nicht in der Lage, das Richtige zu treffen und die Behörden scheinen ihre Zustimmung häufig ohne gründliche Prüfung zu geben. Es ist deshalb angezeigt, die Aufgabe klar zu scheiden, hier Anordnung, dort deren Ausführung. Aufgabe der Behörde ist es, die erforderlichen Anordnungen zu treffen; Bauunternehmer haben sie dabei nur durch Vorlage von Verkehrszeichenplänen zu unterstützen. Jene Anordnungen müssen ins einzelne gehen. Jedes Zeichen und sein Standort sind festzulegen. …” (VkBl 1970, 797, 826, zit. nach OLG Zweibrücken VM 1977, 4, 5).

c)
§ 45 Abs. 6 StVO stellt sich danach nicht nur als reine Zuständigkeitsnorm dar. Die Vorschrift dient vielmehr dem Zweck der Sicherung des Straßenverkehrs vor den Gefahren einer unklaren bzw. regelwidrigen Verkehrsführung und Baustellenabsicherung. Dazu dient auch die Pflicht des Unternehmers zur Einholung einer verkehrsrechtlichen Anordnung vor Beginn der Bauarbeiten gemäß Satz 1 der Vorschrift (vgl. OLG Hamm, DAR 1973, 251; OLG Stuttgart, NZV 1993, 447). Durch diese Verpflichtung soll im Interesse der Verkehrsteilnehmer sichergestellt werden, dass vor Beginn der Arbeiten die Art und Weise der Beschilderung und der Baustellensicherung durch die zuständige Behörde bestimmt wird. Denn die Entscheidung, welche Verkehrsregelungen wegen Bauarbeiten erfolgen sollen, setzt eine sorgfältige Prüfung und Abwägung der zu berücksichtigenden Belange sämtlicher Betroffener voraus, die sachgerecht allein durch die zuständige Behörde getroffen werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 63, 474 mit Verweis auf die amtl. Begründung zu § 45 Abs. 6 StVO; OLG Hamm, DAR 1973, 251). Daraus folgt u. a., dass der Bauunternehmer nur solche Vorschriftszeichen wirksam aufstellen darf, die zuvor durch eine verkehrsrechtliche Anordnung genehmigt worden sind (vgl. nur BVerwGE 35, 334; BayObLG, VerkMitt. 1978 Nr. 2; OLG Zweibrücken, VerkMitt. 1977 Nr. 5; Hentschel aaO Rn. 45 m. w. N.). Wegen dieser Bedeutung der verkehrsrechtlichen Anordnung für die Verkehrssicherheit stellt sich die gesetzliche Verpflichtung des Unternehmers zur vorherigen Einholung der Anordnung als Schutzvorschrift zugunsten des fließenden Verkehrs dar (vgl. Hentschel aaO Rn. 48). Denn es ist anerkannt, dass die Pflicht zur klaren Verkehrsführung und ordnungsgemäßen Baustellensicherung als Teil der allgemeinen Straßenverkehrssicherungspflicht unmittelbar dem Schutz des fließenden Verkehrs dient (vgl. dazu nur Kammer, Urteil vom 30.12.2008 – 13 S 88/08; Beschluss vom 21.07.2011 – 13 S 75/11). Die Bedeutung und Funktion der Pflicht zur Einholung einer verkehrsrechtlichen Anordnung gemäß § 45 Abs. 6 Satz 1 StVO wird gerade durch die hier vorliegenden Umstände des Einzelfalls unterstrichen. Wie der zuständige Sachbearbeiter der Straßenverkehrsbehörde dargelegt hat, musste nämlich der von der Beklagten für Bauphase 3 später eingereichte Beschilderungsplan gerade im Hinblick auf eine mögliche Verkehrsgefährdung durch die Straßenverkehrsbehörde abgeändert werden.

d)
Der hier vertretenen Auffassung steht nicht die von der Beklagten zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.11.2003 – VI ZR 385/02, VersR 2004, 255 entgegen. Der Bundesgerichtshof hat sich in dieser Entscheidung ausschließlich mit der Frage beschäftigt, welchen Schutzzweck Halteverbote im Rahmen von Baustellen verfolgen, und insoweit festgestellt, dass § 45 Abs. 6 StVO nicht dem Schutz des Vermögens eines Bauunternehmers oder eines weiteren beauftragten Unternehmers dient. Weitergehende Feststellungen zum Schutzzweck der Norm hat der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung nicht getroffen. Dass die Einholung einer verkehrsrechtlichen Anordnung

3.
Hiervon ausgehend kann sich der Kläger, der Teil des fließenden Verkehrs gewesen ist, gegenüber der Beklagten auf einen Verstoß gegen § 45 Abs. 6 Satz 1 StVO berufen. Die Beklagte kann sich insoweit nicht damit entlasten, dass sie ihrerseits einen Dritten mit der Beschilderung beauftragt habe.

a)
Allerdings ist anerkannt, dass der sich aus § 45 Abs. 6 StVO ergebende Aufgabenkreis, also auch die Pflicht zur vorherigen Einholung einer verkehrsrechtlichen Anordnung und Vorlage eines Verkehrszeichenplans, zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung auf Dritte übertragen werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, VerkMitt 1994, 71; allgemein zur Übertragung der Straßenverkehrssicherungspflicht des Bauunternehmers auf Dritte BGH, Urteil vom 14.01.1982 – III ZR 58/80, NJW 1982, 2187; OLG Düsseldorf, Schaden-Praxis 1998, 451; Palandt/Sprau aaO Rn. 50 m. w. N.). In diesem Fall trifft den Bauunternehmer aber zumindest die Pflicht, die zur Sicherung des Verkehrs getroffenen Maßnahmen zu überwachen (vgl. BGH, Urteil vom 14.01.1982 aaO; Palandt/Sprau aaO Rn. 50, 52 mwN.). Die Anforderungen an die Erfüllung dieser Aufsichts- und Kontrollpflicht sind streng, dürfen aber nicht überspannt werden (vgl. nur Palandt/Sprau aaO Rn. 52 m. w. N.).

b)
Ob vorliegend eine wirksame Übertragung der Pflichten nach § 45 Abs. 6 StVO stattgefunden hat, erscheint insbesondere im Hinblick auf die vorgelegten Vertragsunterlagen zweifelhaft, bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung. Auch bei einer vollständigen Aufgabenübertragung musste die Beklagte jedenfalls die Einholung einer Anordnung nach § 45 Abs. 6 StVO überwachen. Dafür spricht nicht nur die aufgezeigte besondere Bedeutung der behördlichen Anordnung nach § 45 Abs. 6 StVO für die gesamte Verkehrssicherheit an der Straßenbaustelle, sondern auch der Umstand, dass die Beklagte selbst Anordnungsnehmerin und demnach rechtlich Verpflichtete i. S. d. § 45 Abs. 6 StVO war.

4.
Der Verstoß gegen § 45 Abs. 6 Satz 1 StVO ist auch unfallkausal geworden. Denn die Beklagte hat, indem sie pflichtwidrig die Einholung einer Anordnung unterlassen hat, die fehlerhafte Beschilderung mitzuverantworten (vgl. OLG Karlsruhe, VersR 1976, 668).

Die Beklagte hat deshalb auch für den Schaden einzustehen, der dem Kläger entstanden ist. Die Pflicht zur klaren Verkehrsführung als Teil der Straßenverkehrssicherungspflicht des Bauunternehmers bezweckt insbesondere die Vermeidung von Gefahren, die typischerweise von einer unzureichenden Beschilderung oder Straßenmarkierung ausgehen (vgl. Kammer, Beschluss vom 21.07.2011 aaO). Das ist hier der Fall. Denn in dem streitgegenständlichen Unfall, wie er von dem Kläger hinreichend konkret unter Bezugnahme auf die beigezogene Bußgeldakte beschrieben worden ist, hat sich das erhöhte Risiko einer Kollision aufgrund einer missverständlichen Beschilderung unmittelbar verwirklicht.

5.
Die Beklagte trifft auch ein Verschulden, weil sie zumindest fahrlässig gegen die ihr obliegende Pflicht aus § 45 Abs. 6 Satz 1 StVO verstoßen hat. Die Beklagte wusste, dass sie nach der getroffenen Vereinbarung für jeden Bauabschnitt, mithin auch für die streitgegenständliche 3. Bauphase eine eigene verkehrsrechtliche Anordnung einholen musste. Das zeigt sich insbesondere darin, dass ihr der Inhalt der Vereinbarung vom 09.02.2010 bekannt war und sie für die ersten beiden Bauabschnitte geeignete Anträge gestellt und entsprechende Bescheide der Straßenverkehrsbehörde erhalten hatte. Es hätte daher der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gemäß § 276 Abs. 2 BGB entsprochen, vor Beginn der 3. Bauphase eine verkehrsrechtliche Anordnung auch für diesen Bauabschnitt einzuholen.

6.
Im Rahmen der danach gebotenen Abwägung gemäß § 254 BGB ist auf Seiten des Klägers neben der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zu berücksichtigen, dass er ggfl. aufgrund der abknickenden Vorfahrtregelung aus seiner Fahrtrichtung mit besonderer Aufmerksamkeit hätte fahren müssen (§ 1 Abs. 2 StVO). Ein etwaiger Pflichtverstoß des Klägers tritt hier aber gegenüber dem Verschulden der Beklagten zurück. Dafür spricht insbesondere, dass die Beschilderung zum Unfallzeitpunkt so grob fehlerhaft gewesen ist, dass von einer nachvollziehbaren Verkehrsführung nicht einmal mehr ansatzweise gesprochen werden kann und der Verkehr mangels entsprechenden Hinweises sich auch nicht auf eine geänderte Verkehrsführung einstellen musste.

7.
Die Beklagte ist aufgrund ihrer Alleinhaftung dem Kläger zum Schadensersatz nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB verpflichtet.

a)
Danach steht dem Kläger Anspruch auf Ersatz seiner Selbstbeteiligung in Höhe von 500,– €, seiner außergerichtlichen Kosten für die Geltendmachung des Kaskoschadens in Höhe von 402,82 € (vgl. Kammer, Urteil vom 27.11.2009 – 13 S 194/09 m. w. N.), der Unkostenpauschale von 25,– € sowie einer Nutzungsausfallentschädigung zu, deren Höhe die Kammer gemäß § 287 ZPO auf 1.239,– € (21 Tage x 59,– €) schätzt. Daraus folgt ein zu zahlender Betrag von insgesamt 2.166,82 €.

b)
Der Kläger hat daneben Anspruch auf Feststellung der Ersatzfähigkeit seines Rückstufungsschadens (vgl. nur BGH, Versäumnisurteil vom 25.04.2006 – VI ZR 36/05, VersR 2006, 1139), dessen Höhe ausgehend von der durch die Versicherung des Klägers erstellten Übersicht (Bl. 9 d. A.) ohne weiteres nachvollzogen werden kann.

c)
Schließlich kann der Kläger Ersatz seiner, der Höhe nach nicht bestrittenen außergerichtlichen Anwaltskosten von 316,18 € verlangen. Denn die außergerichtlichen Anwaltskosten stellen einen Teil des nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zu ersetzenden Schadens dar.

a)
Die Zinsregelung folgt aus § 291 BGB.


III.

Die Kostenentscheidung für die 1. Instanz beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, für die Berufung auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Vorinstanzen

AG Ottweiler, 2 C 85/11 (81), 16.08.2011

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht; Baurecht

Normen

§ 46 Abs 6 S 1 StVO