OLG Koblenz, Urteil vom 23. Februar 2011, 9 W 698/10

OLG Koblenz, Urteil vom 23. Februar 2011, 9 W 698/10

Dringlichkeitsvermutung im einstweiligen Verfügungsverfahren gilt idR nur 1 Monat

Gericht

OLG Koblenz


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

23. 02. 2011


Aktenzeichen

9 W 698/10


Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Recht zurückgewiesen.

Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund (Dringlichkeit) voraus, §§ 935, 940 ZPO. Der Verfügungsgrund besteht in der objektiv begründeten Besorgnis, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Zöller, Kommentar zur ZPO, 28. Auflage, 2010, § 935 Rn. 10). Grundsätzlich muss der Antragsteller diese objektive Dringlichkeit gemäß § 935 ZPO, die als besondere Form des Rechtsschutzinteresses und damit als Prozessvoraussetzung von Amts wegen zu prüfen ist, darlegen und glaubhaft machen. Jedoch gilt in Wettbewerbssachen die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG, die allerdings widerlegt werden kann (Köhler/Bornkamm, 28. Auflage, 2010, § 12 Rn. 3.13).

Ein Verfügungsgrund ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. § 12 Abs. 2 UWG sieht vor, dass in Wettbewerbssachen einstweilige Verfügungen auch ohne Darlegung und Glaubhaftmachung der in den §§ 935 und 940 ZPO bezeichneten Voraussetzungen erlassen werden können. Die Privilegierung des Gläubigers durch die Dringlichkeitsvermutung hat ihre Rechtfertigung darin, dass unlauterer Wettbewerb häufig, wenn nicht sogar regelmäßig mit erheblichen Beeinträchtigungen und Auswirkungen verbunden ist und Schäden verursachen kann. Deshalb ist ein möglichst rascher Rechtsschutz vonnöten, durch den für die Zukunft Nachteile für die betroffenen Mitbewerber unterbunden werden (OLG Koblenz WRP 1985, 578, 579).

Die Vermutung der Dringlichkeit ist widerlegt, wenn der Antragsteller durch sein eigenes Verhalten selbst zu erkennen gibt, dass es “ihm nicht eilig ist”. Das ist dann der Fall, wenn er längere Zeit zuwartet, obwohl er den Wettbewerbsverstoß und die Person des Verantwortlichen kennt oder grob fahrlässig nicht kennt (Köhler/Bornkamm, § 12 Rn. 3.15; OLG Koblenz GRUR 1978, 718, 720).

Es ist umstritten, wie der Zeitraum des noch hinzunehmenden Zuwartens zu bemessen ist. Deshalb wenden einige Oberlandesgerichte starre Fristen an, die in der Kommentarliteratur im Einzelnen aufgeführt werden (vgl. Köhler/Bornkamm, § 12 Rn. 3.15). Das OLG Koblenz wird in diesem Zusammenhang bisher dahingehend zitiert, dass nach seiner Rechtsprechung der Antragsteller nach einem Verstoß 2-3 Monate Zeit habe, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu stellen, ohne dass die Dringlichkeit entfiele (Köhler/Bornkamm, § 12 Rn. 3.15 mit Verweis auf OLG Koblenz GRUR 1978, 718, 720; WRP 1985, 578).

Die zitierten Fristen sind jedoch keine starren Fristen, sondern sind und waren auch bisher nur als Richtwert anzusehen, der nicht jede Einzelfallprüfung überflüssig macht, sondern vielmehr nur einen Rahmen setzt. Dem entsprechend weist auch die Kommentarliteratur ausdrücklich darauf hin, dass im Einzelfall auch bei Zugrundelegung von Regelfristen auf Grund besonderer Umstände die Vermutung der Dringlichkeit schon früher widerlegt sein kann (Köhler/Bornkamm, § 12 Rn. 3.15).

Die zitierten Entscheidungen des OLG Koblenz (OLG Koblenz GRUR 1978, 718, 720; WRP 1985, 578) enthalten weder in den in juris dargestellten Leitsätzen noch in den Urteils gründen einen Grundsatz, der besagt, dass in jedem Fall die Dringlichkeit bezüglich jeden Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bis zum Ablauf von 2-3 Monaten gegeben sei. Vielmehr hat das OLG Koblenz in den zitierten Entscheidungen nur ausgeführt, dass die Vermutung der Dringlichkeit gemäß § 25 UWG a.F. im Allgemeinen widerlegt ist, wenn der Antragsteller erst nach mehr als drei Monaten seit Bekanntwerden der fraglichen Wettbewerbshandlung einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellt (OLG Koblenz, GRUR 1978, 718 ff.; WRP 1985, 578; ebenso OLG Koblenz WRP 1981, 594).

In der Begründung der in GRUR 1978, 718 ff. veröffentlichten Entscheidung weist das Gericht ausdrücklich darauf hin, dass die Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG a. F. den Antragsteller nur der Glaubhaftmachung der Dringlichkeit enthebe. Sie rechtfertige eine einstweilige Verfügung aber nicht, wenn sich aus dem Sachverhalt ergebe, dass eine vorläufige Regelung nicht dringend sei. Außer durch das Vorbringen des Antragsgegners könne die Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG auch durch das eigene Verhalten des Antragstellers widerlegt werden, wenn nämlich objektive Umstände erkennen ließen, dass es dem Antragsteller gar nicht so eilig sei, er also bei der Durchsetzung seines Verfügungsantrages durch eigenes Verhalten Verzögerungen eintreten lasse. Hingewiesen wird in der Entscheidung weiter darauf, dass in Rechtsprechung und Literatur darüber Streit herrsche, welcher Zeitraum die Vermutung der Dringlichkeit widerlege; Einigkeit bestehe nur insoweit, als es bestimmte, generell für alle Fälle geltende Fristen nicht gebe. Die Frage der Dringlichkeit beantworte sich nach rein objektiven Gesichtspunkten (OLG Koblenz GRUR 1978, 718, 720). Die zitierten Entscheidungen hatten somit nicht den Zweck, starre und verbindliche Fristen festzuschreiben.

Der Senat sieht in Abweichung von seiner bisherigen Rechtsprechung als Ausgangspunkt der Prüfung eine Frist von einem Monat grundsätzlich für ausreichend an, nach Kenntniserlangung von einem Wettbewerbsverstoß den Sachverhalt zu ermitteln und einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu stellen. Dabei sind freilich jeweils die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Für den Normalfall kann jedoch von einer Regelfrist von einem Monat ab Kenntniserlangung ausgegangen werden. Dieser Zeitraum gibt dem Antragsteller nach Kenntniserlangung ausreichend Gelegenheit, zunächst zu überlegen, ob er überhaupt gegen den einen Wettbewerbsverstoß vorgehen will. Sodann kann er anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Der Rechtsanwalt wird dem Antragsgegner eine Frist zur Abgabe einer Unterlassungserklärung setzen. Wird eine solche nicht abgegeben, kann der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung – ggf. per Telefax – gestellt werden. Wird die Sache von allen Beteiligten als dringlich behandelt, reicht die Frist von einem Monat zwischen Kenntniserlangung und Antragstellung im Normalfall aus. In besonders schwierig gelagerten Einzelfällen oder wenn Ermittlungen anzustellen sind, Korrespondenz zu führen ist oder Einigungsverhandlungen stattfinden, kann die Frist länger zu bemessen sein.

Im vorliegenden Fall wirkt die widerlegliche Vermutung der Dringlichkeit des § 12 Abs. 2 UWG nicht zugunsten der Klägerin. Der relevante Sachverhalt ist einfach und unstreitig. Der Inhalt der Veröffentlichungen war bekannt, weitere Aufklärung war vor der Antragstellung nicht erforderlich. Außer dem schriftlichen Verlangen der Klägerin nach Unterwerfung mit Fristsetzung gab es zwischen den Parteien keine Einigungsverhandlungen.

Die beiden beanstandeten Presseveröffentlichungen erfolgten unter dem 10. und 24. September 2010. Der Zeitpunkt der Wettbewerbsverstöße steht zwar nicht fest. Die Klägerin hat die Beklagte jedoch unter dem Datum des 6. Oktober 2010 anwaltlich abgemahnt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie also Kenntnis und bereits den Entschluss gefasst, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Fristsetzung erfolgte bis zum 8. Oktober 2010, 12:00 Uhr. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist am 9. November 2010 bei Gericht eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt war die Monatsfrist verstrichen. Es lag sogar mehr als 1 Monat zwischen dem Ende der der Beklagten gesetzten Frist und dem Zeitpunkt der Anhängigkeit.

Diesem Ergebnis stehen auch die Grundsätze des Vertrauensschutzes nicht entgegen. Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe auf die in der Kommentarliteratur angegebenen Fristangaben vertraut. Dieses Vertrauen sei schützenswert, der Senat könne nicht ohne Vorankündigung von der bisherigen Rechtsprechung des OLG Koblenz abweichen.

Weder die zitierten Entscheidungen noch die Angaben in der Kommentarliteratur begründen jedoch einen Vertrauensschutztatbestand dahingehend, dass die genannte Frist von 2-3 Monaten ohne Anlass in jedem Fall voll ausgeschöpft werden kann. Die zitierten Fristen sind und waren auch bisher nur als Richtwert anzusehen, der nicht jede Einzelfallprüfung überflüssig macht, sondern vielmehr nur den Rahmen der üblichen Fristen setzt. Dem entsprechend weist auch die Kommentarliteratur ausdrücklich darauf hin, dass im Einzelfall auch bei Zugrundelegung von Regelfristen auf Grund besonderer Umstände die Vermutung der Dringlichkeit schon früher widerlegt sein kann (Köhler/Bornkamm, § 12 Rn. 3.15). Die von der Antragstellerin zitierten Entscheidungen des BGH und des Bundesverfassungsgerichts betreffen andere Fallkonstellationen.

Der Senat hat den Streitwert für beide Instanzen auf 15.000,- Euro festgesetzt. Durch Beschluss vom 28. Oktober 2010 – 9 W 567/10 – hat der Senat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH GRUR 1998, 985) die früher vorgenommene Differenzierung zwischen Verfahren eines Wettbewerbers und eines Verbandes aufgegeben. Er nimmt nunmehr generell für einstweilige Verfügungsverfahren einen Regelstreitwert von 15.000,- Euro und für Klageverfahren einen Regelstreitwert von 20.000,- Euro an. Umstände, die es rechtfertigen, von diesem Regelstreitwert abzuweichen, sind vorliegend nicht ersichtlich.

Rechtsgebiete

Presserecht; Verfahrens- und Zwangsvollstreckungsrecht