Nachbarrecht-Mythen (II): Irrtümer über Kinder

Nachbarrecht-Mythen (II): Irrtümer über Kinder

Das persönliche Rechtsgefühl deckt sich nicht immer mit der tatsächlichen Rechtslage. Hartnäckig halten sich Annahmen aus dem Alltag, die bei Juristen nur für Kopfschütteln sorgen. In unserer Serie stellen wir diese Mythen auf den Prüfstand – diesmal dreht sich alles um den Themenbereich spielende Kinder und Elternpflichten.



Eltern haften immer für ihre Kinder?

Eltern haben generell eine Aufsichtspflicht über ihre Kinder. Dies bedeutet, dass Eltern beispielsweise ihre Sprösslinge einerseits über die Gefahr des Feuers belehren, andererseits sie auch grundsätzlich überwachen müssen. Wird die Aufsichtspflicht verletzt und richtet ein Kind einen Schaden ein, haften regelmäßig die Eltern. Das Maß der gebotenen Aufsicht bestimmt sich aber nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes, sowie danach, was den Eltern in der jeweiligen Situation zugemutet werden kann. Ein normal entwickeltes siebenjähriges Kind muss beispielsweise nicht auf Schritt und Tritt überwacht werden. Es reicht, wenn die Eltern sich in groben Zügen einen Überblick über das Tun und Treiben verschaffen. Ein fünfjähriges Kind muss auf einem Spielplatz allerdings in regelmäßigen Abständen von höchstens 30 Minuten kontrolliert werden. Diese Grundsätze stellte der Bundesgerichtshof (BGH) in zwei Entscheidungen auf: (VI ZR 199/08 – Urteil nachlesen) und (VI ZR 51/08 – Urteil nachlesen). Die zwei Elternpaare hatten im entschiedenen Fall ihre Aufsichtspflicht laut BGH nicht verletzt und mussten deshalb für die Schäden an 17 Autos, die ihre beiden Sprösslinge zerkratzt hatten, nicht aufkommen.

Ein sechsjähriges Kind muss nicht auf Schritt und Tritt überwacht werden. Das OLG Celle stellte in einer Entscheidung (4 U 99/06 – Urteil nachlesen) klar: Für eine selbstständige Entwicklung ist Kindern auch ein gewisser Freiraum zu lassen. Besucht das eigene Kind kurz ein Nachbarkind, um gemeinsam zu spielen, muss nicht ständig beaufsichtigt werden. Die Eltern hafteten deshalb im vorliegenden Fall nicht wegen Verletzung der Aufsichtspflicht für Schäden an einer Scheune, die in Brand geraten war, weil die Kinder einen Strohballen angezündet hatten. Prozessiert wurde übrigens um 68.195,89 Euro.

Ähnlich ging auch folgende Entscheidung aus: Ein Siebenjähriger hatte mit einem gefunden Feuerzeug ein Feuer verursacht. Das von den Eltern angemietete Wohnhaus brannte weitgehend aus. Die Feuerversicherung des Vermieters versuchte bei den Eltern bzw. deren Haftpflichtversicherung zu regressieren – erfolglos. Laut den Feststellungen des Landgerichts (LG) Coburg (22 O 763/07) hatten die Eltern nämlich Ihre Aufsichtspflicht gar nicht verletzt. Die Eltern konnten nachweisen, dass sie das Kind eingehend über die Gefahren von Feuer aufgeklärt hatten. Außerdem räumten die Eltern regelmäßig das Kinderzimmer auf und hielten auch sonst nach Gegenständen Ausschau, mit denen gezündelt werden könnte. Es ist den Eltern auch nicht anzukreiden, so das Gericht, dass das Kind eine Stunde unbeaufsichtigt im Kinderzimmer war. Denn eine noch strengere Überwachung ist nach Ansicht des Landgerichts lebensfremd und somit nicht zumutbar.


Ein Warn-Schild „Spielen verboten“ ist unwirksam?

Fußballspiel im Hof – trotz Verbots – berechtigt den Vermieter nicht immer zur Kündigung des Mietvertrags. Wenn es um Kinderlärm geht, fordern die Gerichte stets eine erhöhte Toleranz der Mitmenschen. Dies erfuhr auch ein Vermieter, der einer Familie gekündigt hatte und vor dem Landgericht (LG) Wuppertal (16 S 25/08) erfolglos auf Räumung der Wohnung klagte. Seine Klage begründete er damit, dass der fünfjährige Sohn wiederholt nicht auf dem Spielplatz, sondern trotz Verbotsschildes auf dem Garagenhof Ball gespielt hat. Das Landgericht konnte jedoch keine besondere Belästigung für die Nachbarn erkennen, die über die üblicherweise von Kindern in diesem Alter verursachten Spiellärm hinausging. Wegen der örtlichen Verhältnisse sei – so das Gericht – der gelegentliche Kinderlärm hinzunehmen. Insbesondere würde nach der Ansicht des Gerichtes ein Spielen auf dem nahegelegen Spielplatz vergleichbar laute Geräusche hervorrufen. Außerdem würde der Garagenhof die Kinder zum Spielen geradezu einladen, weil der Spielplatz beengt sei.


Krach von Kinderspielplätzen in Wohngebieten darf nicht in der Wohnung hörbar sein?

Sicherlich kann es lästig sein, wenn die Mietwohnung mit einem oder mehreren Fenstern zum Gemeinschaftshof blickt, und auf diesem Gemeinschaftshof auch noch ein Kinderspielplatz angelegt ist. Gegen diesen Kinderlärm kann man allerdings nichts unternehmen. Man hat ihn grundsätzlich zu dulden. Dies folgt schon im Interesse der Allgemeinheit an einer kinderfreundlichen Umwelt! So hat jedenfalls das Landgericht (LG) Heidelberg mit seinem Urteil vom 23.10.1996 (8 S 2/96 – Urteil nachlesen), entschieden. Wenn der Lärm nämlich das Maß der gewöhnlichen Belästigung nicht übersteigt und im wesentlichen die allgemeinen Ruhezeiten beachtet werden, müssen die berechtigten Interessen der sich vom Kinderspiellärm in einem reinen Wohngebiet gestört fühlenden Nachbarn zurücktreten.

Auch in einer Wohnungseigentumsanlage gilt hier grundsätzlich nichts anderes. Selbst wenn in der Hausordnung steht, dass sämtliche Hausbewohner zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtet sind, und insbesondere verpflichtet sind, die Ruhe aufrechtzuerhalten, kann eine interessengerechte Auslegung dieser Hausordnung nur dahingehend verstanden werden, dass die durch die Nutzung des Spielplatzes entstehenden ortsüblichen Geräusche nicht zu unterbinden sind. Das Landgericht (LG) Heidelberg hat es in seinem Urteil vom 23.10.1996 (8 S 2/96 – Urteil nachlesen) sogar ausdrücklich begrüßt, wenn Eltern mit den Kindern mitspielen. Darüber hinaus wurde vom Landgericht ausdrücklich festgestellt, dass zu den ortsüblichen Geräuschen eines Kinderspielplatzes auch der Lärm gehört, der von zu Besuch weilenden Kindern und Freunden von Hausbewohnerkindern stammt. Eingehalten werden müssen von den spielenden Kindern lediglich die regional unterschiedlichen Ruhezeiten. In der Regel gibt es Regelungen oder Verordnungen, wonach eine Mittagsruhe zwischen 12.00 Uhr und 15.00 Uhr einzuhalten ist. Im Übrigen sei zur Einschränkung auf das Feiertagsgesetz und auf die landeseigenen Immissionsschutzgesetze verwiesen. Aus diesen Gesetzen ergibt sich in der Regel noch ein Lärmverbot in der Zeit von 22.00 Uhr bis 9.00 Uhr und ganztägig für Sonntage und Feiertage.


Krach machen in der Wohnung ist verboten?

Wenn es um Kinderlärm geht, sind die Gerichte in der Regel sehr nachsichtig und fordern von den Nachbarn stets eine erhöhte Toleranz. Geduldet werden muss Lärm, solange er das Maß der gewöhnlichen Belästigung nicht übersteigt und im Wesentlichen die allgemeinen Ruhezeiten beachtet werden. Dies folgt schon aus der im Interesse der Allgemeinheit stehenden kinderfreundlichen Umwelt. Folglich müssen die üblichen Lauf- und Spielgeräusche von Kindern innerhalb oder außerhalb der Wohnung akzeptiert werden. Das Saarländische Oberlandesgericht (OLG) (5 W 82/96-20 – Urteil nachlesen) erklärt sogar, dass Menschen, die in besonderer Weise ruhebedürftig oder lärmempfindlich sind, nicht erwarten dürfen, dass sich die Gemeinschaft nach ihren individuellen Bedürfnissen richtet. Geduldet werden muss aber nicht jeder Lärm. Nicht mehr sozialadäquat und somit nicht zu dulden ist etwa Tennisspiel von Kinder in der Wohnung oder starkes Herumtrampeln zur Nachtzeit oder am Sonntag.

Auch darf eine Eigentümergemeinschaft die gesetzlichen Bestimmungen nicht verschärfen, indem sie in einer Hausordnung z.B. regelt, dass zu bestimmten Zeiten alle unnötigen und störenden Geräusche zu unterlassen sind. Das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf (3 Wx 233/08) hält eine solche Gemeinschaftsordnung für unverbindlich. Derartige pauschale Formulierungen sind, so das Gericht, nicht objektivierbar. Die Hausordnung ist deshalb zu unbestimmt. Allerdings konnten sich die gestörten Wohnungseigentümer im entschiedenen Fall erfolgreich auf § 14 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) berufen. Diese Norm schreibt vor, dass ein Eigentümer durch seine Nutzung der Wohnung die anderen Eigentümer nicht über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigen darf. Im konkreten Fall war das Oberlandesgericht Düsseldorf überzeugt, dass der festgestellte Lärm aus Geschrei, lauter Musik, Springen und Trampeln, Möbelrücken und Türenknallen über das hinzunehmende Maß hinausging und somit ein Unterlassungsanspruch nach § 15 Wohnungseigentumsgesetz (WEG), § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) begründet ist.


Ein Nachmieter darf wegen eines Kindes abgelehnt werden?

Ein Mieter kann verlangen vorzeitig aus einem Zeitmietvertrag entlassen zu werden, wenn er einen geeigneten Nachmieter stellt. Der neue Mieter darf vom Vermieter nur aus gewichtigen Gründen abgelehnt werden. Will der Nachmieter mit einem Kind einziehen, kann ihn der Vermieter grundsätzlich nicht als ungeeignet ablehnen. Denn Befürchtungen, bloße persönliche Antipathien und eine objektiv nicht begründete, negative Einstellung des Vermieters zu bestimmten Mieterkreisen sind unbeachtlich. Dies gilt insbesondere für die Befürchtung, bei einem Einzug mit Kind sei mit Beschwerden anderer Mieter zu rechnen. Es stellt eine unzulässige Verallgemeinerung dar, dass Kinder grundsätzlich eine Lärmbelästigung verursachen, die das in einem Mietshaus zulässige Maß an Geräuschimmissionen übersteigt, urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) in einer Entscheidung (VIII ZR 244/02 – Urteil nachlesen).

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